Meinung und Satire
Rund um die Psyche
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ADS - das Zappelphilippsyndrom

Differenzdiagnose:
mit frdl. Genehmigung von          ADD-ONLINE

ADS ADHS Hyperaktivität Kinder

   Der Zappelphilipp von                  Heinrich.Hoffmann

"Ob der Philipp heute still
wohl bei Tische sitzen will?"
Also sprach in ernstem Ton
der Papa zu seinem Sohn,
und die Mutter blickte stumm
auf dem ganzen Tisch herum.
Doch der Philipp hörte nicht,
was zu ihm der Vater spricht.
Er gaukelt und schaukelt,
er rappelt
und zappelt
auf dem Stuhle hin und her.
"Philipp, das missfällt mir sehr!"

Seht, ihr lieben Kinder, seht,
wie's dem Philipp weiter geht!
Schaut genau auf dieses Bild!
Seht! Er schaukelt gar zu wild,
bis der Stuhl nach hinten fällt;
da ist nichts mehr, was ihn hält;
nach dem Tischtuch greift er, schreit.
Doch was hilft's? Zu gleicher Zeit
fallen Teller, Flasch' und Brot.
Vater ist in großer Not,
und die Mutter blicket stumm
auf dem ganzen Tisch herum.

Nun ist Philipp ganz versteckt,
und der Tisch ist abgedeckt,
was der Vater essen wollt',
unten auf der Erde rollt;
Suppe, Brot und alle Bissen,
alles ist herabgerissen;
Suppenschüssel ist entzwei,
und die Eltern stehen dabei.
Beide sind gar zornig sehr,
haben nichts zu essen mehr.

                                                 Kindheit als Krankheit ?

Das Thema ADS spaltet wie viele andere Themen auch Eltern, Lehrer, Fachleute und alle davon betroffenen Gruppen. Ist ADS eine typische Erscheinung unserer hochtechnisierten, unmenschlichen und schnellebigen Zeit, ist ursächlich das Elternhaus oder die genetische Veranlagung, ist Zappeln bei Kindern nicht ganz normal- zeigen nicht alle Kinder ADS-Symptome, Modekrankheit oder noch unterschätzte Krankheit, sind Schule, Erzieher und Eltern einfach nicht genügend informiert, ist der Einsatz “chemischer Keulen” nicht zu gefährlich?
Gibt es ADS denn eigentlich wirklich? Oder ist die typische Konzentrationsstörung oder psychomotorische Unruhe Begleiterscheinung anderer Störungen, bzw. das Kind einfach gesellschaftlich, sozial geprägt unruhiger als andere.
Während die eine Gruppe Ritalin als Allheilmittel betrachtet, wird es von anderen als Droge mit noch nicht absehbaren Folgen für das spätere Leben verteufelt. Niemand kann sich im Moment anmaßen die ideale Lösung des Problems zu kennen. Wie so oft, ist der eingeschlagene Weg in der Praxis meistens ein Kompromiss. Und leider muss man sagen, das es z.Zt. noch kein Allheilmittel gegen, wohl aber Möglichkeiten für ein besseres Leben trotz ADS gibt. Oder besser gesagt, für diejenigen, die ADS für eine Erfindung der Wissenschaft halten: Ein Leben trotz psychomotorischer Unruhe oder/und Konzentrationsstörungen.

Vorweg: “den Zappelphilipp gab es bereits früher. Bereits 1847 erstellte der Nervenarzt Heinrich Hoffmann mit seinen berühmten Figuren des Zappelphilipp und des Hans-Guck-in-die-Luft das Abbild eines hyperkinetischen bzw. aufmerksamkeitsgestörten Kindes.
Dieses Phänomen gab es wohl schon immer, wurde aber erst in jüngster Zeit auch als Krankheitsbild erfasst. In welcher Häufigkeit dieses Störungsbild aber bereits früher auftrat ist kaum nachzuvollziehen. Auch die Diskussion, ob es sich in einigen leichteren Fällen um eine heutige Zivilisationskrankheit handelt, oder um Ausdruck unserer veränderten Ansprüche an ein “braves” Kind kann man führen, ob sie sinnvoll ist, sei dahingestellt.
Offiziell eingeführt wurde dieses Störungsbild 1987 durch den amerikanischen Psychiatrieverband als ADHD - attention deficit hyperactivity disorder.

Paradox ist zum Teil auch der gegensätzliche Umgang mit unruhigen oder “aus der Reihe tanzenden” Kindern  Während einerseits, wie man von praktizierenden Psychologen hört, ADS schon zur Modekrankheit erhoben wurde und viele Eltern mangels besseren Wissens die Selbstdiagnose “Mein Kind hat ADS” stellen, wird es vielfach in anderen Fällen nicht erkannt. Entweder aus Unwissenheit, Angst vor Überforderung oder “weil nicht sein kann, was nicht sein soll”. Deswegen sollte der Umgang mit der Diagnose wohlüberlegt sein. Sowohl eine Fehldiagnose wie die nicht erkannte Störung ( und das muss ja im Einzelfall nicht ADS sein, sondern z.B. eine Rechenschwäche) haben prägende Folgen für das weitere Leben des betroffenen Kindes.

Im Folgenden soll von ADS bzw. ADHS gesprochen werden. Diese Begriffe leiten sich ab aus dem amerikanischen Ursprung ADHD (attention deficit hyperactivity disorder) bzw ADD. Daneben spricht man auch von HKS (Hyperkinetisches Syndrom)
Der ICD10, der internationale Katalog psychischer Störungen, kennt interessanterweise ADS nicht, sondern spricht von Aufmerksamkeitsstörungen mit oder ohne Hyperaktivität.
ADS entspricht im Prinzip der Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität, ADHS der Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität. Um Missverständnissen vorzubeugen: ADS ohne Hyperaktivität bedeutet nicht, das es sich um ruhige, besonnenen Kinder handelt. Ihre motorische, nach aussen sichtbare Unruhe ist aber nicht so ausgeprägt. Eine “innere Rastlosigkeit” ist immer vorhanden.

ADS: Ein paar Gedanken, die eine Entscheidung nicht leichter machen!

Unterstellen wir also, es gibt ADS als Erkrankung. Dann sollte meinen, die Diagnose ADS sei einfach. Jeder kennt den Begriff inzwischen, jeder weiss um was es geht und jede Menge Diagnosen sind gestellt.
Doch es gilt vorsichtig zu sein. Nur allzu schnell erfüllen sich die Erwartungen von Eltern, die mit ihrem “Zappelphilipp” zum Arzt gehen.
“Herr Doktor, ich glaube mein Kind hat eine Aufmerksamkeitsstörung. Er zappelt nur noch rum, lässt sich leicht ablenken, sitzt stundenlang an den Hausaufgaben, schreibt nur noch schlechte Noten,ständig wirft er etwas um! Es ist, als würde ich gegen eine Wand reden” Wie verführerisch einfach ist es in dieser Situation für Eltern und Arzt jetzt zu sagen: ja, genau so ist ist, ihr Kind hat ADS. Natürlich kann es so sein, doch es gilt, alle anderen Möglichkeiten so weit wie möglich auszuschliessen, bevor der Stempel auf ADS gestellt wird.

Ich möchte hier kurz meine eigenen Erfahrungen in den ersten Monaten nach einem Hörsturz einfügen. Dies mag jetzt weit hergeholt klingen, doch was waren die Folgen: In der ersten Zeit nach dem Hörsturz war es mir nicht mehr möglich die örtliche Herkunft von Geräuschen zu erkennen. Klingelte in einem Raum ein Telefon von mehreren, war es mir nicht möglich, zu sagen welches. Stellen sie sich vor, sie müssten ständig fragen: Welches Telefon hat geklingelt! Bei lauten Umgebungsgeräuschen, Gesprächen durch eine Scheibe, Diskussionen mehrerer Personen konnte ich nur noch unbeteiligt dabeistehen. Es war ein Gefühl, als würde in diesem Moment ein Wattebausch meine Gehörgänge verschliessen, Auch in Stresssituationen konnte ich regelrecht feststellen, wie dieser Wattebausch plötzlich auftauchte. Gleichzeitig war meine Konzentrationsfähigkeit auf dem Nullpunkt, die Buchstaben verschwammen vor meinen Augen, ein schwarzer Vorhang senkte sich vor meine Augen. Ich schaute meinen Gesprächspartnern ins Gesicht und gleichzeitig durch sie hindurch, konnte den Inhalt des Gesprächs kaum noch nachvollziehen. In dieser Phase kam Unsicherheit und verstärkte Nervösität hinzu und die Flucht vor Menschenansammlungen. Ich hätte Gespräche sowieso nicht nachvollziehen können. Jetzt stellen sie sich ein Kind mit Wahrnehmungsstörungen vor, ähnlichen Erlebnissen wie oben geschildert.

Einige der typischen Merkmale dieser Erkrankung könnten auch andere Ursachen haben.
Ein paar Gedanken und Beispiele hierzu.

-Ist das Kind “schusselig”, wirft es ständig Sachen um, wirkt es nervös, unkonzentriert und fahrig? Könnte es möglich sein, das ihr Kind schlecht sieht  oder gar eine Sehstörung hat? Doppelsehen ist eine Sehstörung, auf die nicht immer getestet wird, aber gravierende Folgen für den Betroffenen hat. Auch Hör(verarbeitungs)störungen, Geräuschüberempfindlichkeit, Hörstürze haben ähnliche Auswirkungen, können hyperaktives ,fahriges ,nervöses Verhalten zur Folge haben.

-Schläft ihr Kind genug und regelmässig. Sie kennen bestimmt diesen tranceähnlichen Zustand nach zwei durchzechten Nächten. Da fällt es schwer, sich auf etwas zu konzentrieren oder gar zu lernen.

-Heben sie ein Fernsehkind? Sitzt es stundenlang allein vor Fernseher oder Computer? Nascht übermässig viel, lebt den natürlichen Bewegungsdrang eines Kindes nicht aus? Ist es viel allein?

-Haben sie schon einmal versucht, einen hochwissenschaftlichen Text gespickt mit Fremdwörtern zu lesen und verzweifelt festgestellt: Bereits den ersten 100-Wörter-Satz haben sie nicht verstanden? Sie haben den Text zwar schon 3mal gelesen, aber bereits am Ende des Satzes den Anfang nicht mehr wiederholen können. Haben sie nicht auch unterbrochen und erst Mal aus dem Fenster geschaut? Vielleicht bewältigt ihr Kind nicht die Hausaufgaben, weil es unkonzentriert ist - vielleicht ist es unkonzentriert, weil es sich nicht in der Lage fühlt, das Gelesene zu verarbeiten! Es könnte eine Minderbegabung vorliegen oder eine Lese-/Rechtschreib-/Rechenschwäche. Umgekehrt kann auch ein hochbegabtes Kind Schwierigkeiten haben, mit unbemerkter Unterforderung zurecht zu kommen.

-Ist ihr Kind wie “aufgedreht”, weiss gar nicht wohin mit seiner Energie, fängt alles an, will alles gleichzeitig machen und bringt letzten Endes nichts zustande. Vieles wird angefangen, soll erledigt werden, doch nichts wird in Ruhe zu Ende gebracht, vieles bleibt unerledigt. Ist ihm oft übel, klagt über Kopf- oder Magenschmerzen? Trödelt sehr lange, bis es sich erst unter Androhung aller möglichen Konsequenzen dann endlich auf den Weg zur Schule macht? Um dann doch zu spät zur Schule zu kommen, weil es unterwegs wieder trödelt. Manche Kinder haben panische Angst vor der Schule und genau soviel Angst, dies einzugestehen. Oder sie sind depressiv, trauen sich nicht zu und haben keinerlei Selbstvertrauen. Obwohl es so aussieht, als wären sie ständig aktiv und interessiert an vielen Dingen, sind sie in Wirklichkeit voller Hemmungen und Selbstzweifel.

-Woran denken sie bei dieser folgenden Beschreibung?: Schwierigkeiten, sich spontan zu äussern, irgendwie ungeschickt, hält sich mit unwesentlichen Details auf, manchmal hyperaktiv und unruhig, mangelndes Einfühlungsvermögen, in der Schule isoliert, keine Freunde weil das Verhalten “irgendwie anders” ist: monotone, leiernde Sprache, evtl.seltsam, verschroben, umständlich, ängstlich, schüchtern, unfreundlich, unnahbar, undankbar, faul, lustlos. So ungefähr könnten die Symptome bei einem Asperger-Syndrom erscheinen.

-Störungen des Sozialverhaltens, schizophrene Psychosen, Ticstörungen, Drogenmissbrauch, Stoffwechselerkrankungen (Diabetes,Phenylketorunie,..), frühkindliche Hirnschädigungen durch Infektionen oder Verletzungen (Unfall):
Aufmerksamkeitsstörungen, fahriges-nervöses-unkonzentriertes Verhalten, Kontakt- und Kommunikationsschwierigkeiten können Teil einer anderen übergeordneten Erkrankung sein.
Deswegen ist die Diagnose ADS mit der gebotenen Vorsicht zu stellen und unter Berücksichtigung möglicher anderer Ursachen. Und sei es im Extremfall wirklich exzessives Fernsehen.

Die Untersuchung darf keine Momentaufnahme darstellen, sondern muss Verhalten(sänderungen) des Kindes über einen langen Zeitraum, Erfahrungen von Eltern, Kindergarten und Schule mit einbeziehen und den Focus nicht ausschließlich auf das Thema Konzentration und Aufmerksamkeit legen.

Wenn die verschriebenen Mittel wirken und die schulischen Leistungen besser werden, ist das natürlich ein Erfolg. Im Einzelfall muss dass aber nicht die Diagnose bestätigen. Vergessen wir nicht: Amphetamine sind eigentlich Aufputschmittel, die von Natur her zu besseren Leistungen und besserer Konzentration führen, auch beim Gesunden.

Zu guter letzt: Diagnose  ADS bedeutet -wie schon gesagt- nicht eine kurzfristige Bestandsaufnahme der momentanen Situation, sondern die Erstellung eines Gesamtbildes unter Einbeziehung des Lebenslaufes vom Kleinkind bis Heute, der Erfahrungen in Kindergarten und Schule. Also eine sehr (zeit)aufwändige Untersuchung. Deswegen sei vor schnellen Diagnosen gewarnt.
Und um noch Mal die Kritik einiger Experten aufzugreifen: Konzentrationsschwierigkeiten und psychomotorische Unruhe können viele Ursachen haben. Seien sie kritisch, selbstkritisch und nicht zu leichtfertig mit der Diagnose ADS.
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