Die Geschichte vom kleinen Schneemann ...der alles ganz genau wissen wollte. Oder die seltsame Geschichte vom Glauben und Wissen. Die Geschichte, die ich euch Heute erzählen will, hat sich vielleicht irgendwann einmal in den riesigen eiskalten Weiten Grönlands zugetragen. Vielleicht auch ein anderes mal hoch oben in den schneebedeckten Spitzen eines riesigen Berges. Vielleicht aber auch an einem ganz anderen Platz. Und eigentlich ist es ja auch egal, wo es geschah. Und vielleicht ist diese Geschichte auch nie so geschehen. Trotzdem sollt ihr erfahren, was sich irgendwann und irgendwo vielleicht einmal zugetragen hat.
Irgendwo in einem schneebedeckten Land lebte das uralte Volk der Schneemänner. Es war ein wildes, eiskaltes Land. Schneestürme zogen über die Erde hinweg, alles Wasser war zu Eis erstarrt und es war bitterkalt. So kalt, wie man es sich nur in seinen eisigsten Träumen vorstellen kann. Und genau hier fühlten sich die Schneemänner wohl. So richtig wohl. Und hier lebte auch unser kleiner Schneemann mit seiner Familie. Mit seinen Schneeeltern, all seinen Schneebrüdern und Schneeschwestern und vielen, vielen Schneefreunden aus dem Volk der Schneemänner.
Alles hätte so schön sein können. Das Leben war unbeschwert. Alles was ein Schneemann für ein glückliches Leben braucht, war im Überfluss vorhanden. Es gab keine Krankheiten, keinen Hunger und die für das Volk der Schneemänner so gefährliche Schneeschmelze kannte man nur aus alten Erzählungen. Erzählungen von jenseits der Grenze, wo die Gefahr lauerte. So glaubte es das Volk der Schneemänner zumindest. Und im funkelnden Licht der Sonne tobten die kleinen Schneemannkinder wild und unbeschwert über die eiskalten Flächen des seit Jahrhunderten zu Eis erstarrten Sees. Erfreuten sich an den frostigen Winden und Schneestürmen, die ungestürm über das Land zogen. Doch unser kleiner Schneemann konnte das unbeschwerte Leben nicht so recht genießen. Er war neugierig und dass war ja auch gut so. Nur durch fragen lernt man die wichtigen Dinge des Lebens. Doch er wollte alles, wirklich alles wissen. Und es quälten ihn vor allem die wenigen Fragen, auf die Niemand seines Volkes ihm antworten konnte. Sogar nicht die gelehrigen Schneelehrer in der großen Schule hier im Schneeland. Wer wusste schon noch nach den vielen, vielen Jahrhunderten, wo das Volk der Schneemänner entstanden war. Keiner der zahlreichen Schneemänner konnte sagen, wann und wie er geboren worden war. Oder ob überhaupt. Wie viele Sterne gibt es am Himmel? Wo ist das Ende des Himmels über mir? Warum fallen die vielen funkelnden Sterne hoch über mir in der Nacht nicht herunter? Und warum sterben wir Schneemänner nicht und was wäre danach? Und gibt es da oben am Himmel jemanden, der uns beobachtet und beschützt. So wie Eltern ihre Kinder beschützen, auch wenn sie trotzdem manchmal blaue Flecken vom Herumtoben bekommen? Natürlich kann und sollte man sich all diese interessanten Fragen stellen. Doch der kleine Schneemann wollte alles ganz genau und sofort wissen und die vielen offenen Fragen spukten quälend in seinem Kopf herum wie kleine, quirlige Schneegeister. Und dabei konnten ihm ihm auch die uralten Männer des Volkes keine genaue Antwort geben. Viele sagten: „ Ich glaube, es könnte so oder so sein. Aber genau weiß es wohl Niemand“ Doch glauben reichte ihm nicht. Er wollte doch alles ganz genau wissen. Und so wurde unser kleiner Schneemann immer unglücklicher und unzufriedener. Und immer lauter wisperten die kleinen Schneegeister in seinem Kopf herum, fragten und fragten und fragten. Und manchmal fragte er sich inzwischen sogar, warum die anderen Schneemannkinder so wild und fröhlich lachend durch den Schnee tobten? Was machte das für einen Sinn? So saß er einsam in seinem kleinen Schneehaus mit den von Eisblumen bedeckten Fenstern und grübelte vor sich hin, während seine Freunde fröhlich lachend durch den neu gefallenen Schnee tobten. Und schließlich entschloss er sich, in die weite Welt zu ziehen, um die Antworten auf alle seine offenen Fragen zu finden. „Das ist sehr gefährlich für uns Schneemänner. Da draußen, jenseits der Grenze des Schneelandes, lauern unendlich viele Gefahren. Noch nie ist einer von uns von einer derartigen Reise zurück gekehrt. Glauben wir.“ So versuchten ihn seine Freunde zum Bleiben zu bewegen. Doch es war zwecklos. Und so packte der kleine Schneemann sein Bündel, eine große Portion Eis für unterwegs und zog in die weite Welt hinein. Tag um Tag wanderte er durch weite Schneefelder, immer weiter. Bis er irgendwann in der Ferne ein seltsames Tier sah. Riesengroß, weiß und mit Pelz bedeckt. „Hallo“ rief unser kleiner Schneemann, „wer bist du, woher kommst du, wo willst du hin? Weißt du, wie alt du bist und wann du sterben wirst und was danach ist?“ Verwirrt schüttelte das riesengroße Tier seine Kopf und brummte: „Ich bin ein Eisbär und ich weiß nur, dass ich dich nicht fressen werde. Denn ich glaube, du würdest mir nicht schmecken“ „Du glaubst es aber nur. Du weißt es aber nicht genau. Oder?“ Erwiderte der kleine Schneemann.Doch der Eisbär schüttelte nur erstaunt den riesigen Kopf und stapfte brummend davon. Und unser kleiner Schneemann zog weiter und weiter, bis er irgendwann bemerkte, wie sich die Landschaft veränderte. Es hatte schon lange nicht mehr geschneit und hier und dort schauten grüne Flächen durch die Schneedecke hervor. Es war auch nicht mehr so angenehm frostig kalt und die Sonne schien wärmer zu strahlen. Doch unser kleiner Schneemann zog weiter und weiter, bis er schließlich an einen kleinen Bach gelangte. Doch dieser war nicht wie die Bäche seiner Heimat zugefroren, das Wasser nicht zu Eis erstarrt. Sondern das Wasser dieses Baches plätscherte wild dahin über Stein und Stock und es war nur noch wenig Schnee zu sehen. Und so setzte sich der kleine Schneemann, jetzt doch erschöpft von der weiten Reise auf einen großen, von der Sonne beschienenen Stein am Rande des Baches. Und bemerkte, das kleine Tropfen klaren Wassers an seinem Körper herab flossen. „Was ist denn das?“, wunderte er sich. Und schaute den Wassertropfen nach, wie sie an ihm herab und dann in den Bach hinein flossen.
Plötzlich entdeckte er direkt vor sich im Bach ein buntgeprenkeltes, seltsames Tier, das ihn mit großen Augen anstarrte und trotz des fließenden Wassers auf der Stelle zu stehen schien. „Hallo“ rief unser kleiner Schneemann wieder , „wer bist du, woher kommst du, wo willst du hin? Weißt du, wie alt du bist und wann du sterben wirst und was danach ist?“ „Ich bin ein Fisch“ erwiderte erstaunt das seltsame Wesen. “ich lasse mich vom Wasser treiben. Mehr muss ich nicht wissen. Wer kann schon alles wissen. Ein Fisch bestimmt nicht. Du bist ein gar seltsames Geschöpf. Was sollen alle diese Fragen, auf die ich keine Antwort weiß? Doch auch ich möchte dir jetzt eine Frage stellen. Ist es möglich, dass du immer kleiner wirst?“ Mit diesen Worten verschwand der Fisch und verwirrt schaute der kleine Schneemann an sich herunter. Tatsächlich! Er schien kleiner geworden zu sein und zahlreiche Tropfen Wasser flossen an ihm herab, wurden zu ganz kleinen Bächen und vermischten sich mit dem Wasser des großen Baches vor ihm. Erschrocken dachte er „Das muss die gefährliche Schneeschmelze sein, von denen die Ältesten seines Dorfes so oft erzählt hatten“ Nur die sofortige Rückkehr in das Land der Schneemänner würde ihn noch retten. Das wusste auch unser kleiner Schneemann. Doch wie versteinert, tief in Gedanken versunken saß er weiterhin auf dem großen Stein, während Tropfen um Tropfen von ihm herabfloss. Grübelnd sah der kleine Schneemann in das klare Wasser des Baches und schaute zu, wie sich die Tropfen, welche von ihm nun immer schneller herabflossen, mit dem Wasser des Baches vermischten. Eins wurden mit der Strömung. „Interessant“, murmelte er. „ Ist es vielleicht so? Sterbe ich vielleicht nicht wirklich, sondern werde ich nur Teil von etwas viel Größerem. Werde ich zum Teil des Baches und lasse ich mich dann vielleicht wie der buntgesprenkelte Fisch von der Strömung treiben? Aber wohin und warum? Und wie ist der Bach überhaupt entstanden? Besteht der Bach vielleicht aus vielen, vielen geschmolzenen Schneemännern?“ Und natürlich fragte sich unser kleiner Schneemann auch, was er denn nun machen solle. Würde er die Antworten auf all seine Fragen hier jenseits der Grenzen des Schneemannlandes überhaupt finden? Und wie gefährlich war die Schneeschmelze für ihn wirklich? Warum gab es die Schneeschmelze überhaupt, wenn sie doch so gefährlich war? Und sollte er lieber umkehren, zurück in seine Heimat? Zurück zu seinem Volk, seinen Freunden, die jetzt wahrscheinlich unbeschwert im wunderbar eiskalten Schnee herumtobten! Während unser kleiner Schneemann so tief in Gedanken versunken weiterhin auf dem großen Stein saß, rannen ihm dicke Tränen aus seinen großen schwarzen Augen herab. Traurig und einsam grübelte er vor sich hin und bemerkte gar nicht mehr, dass er immer kleiner wurde. Bis zum Schluß nur noch ein ganz kleiner, kaum sichtbarer Flecken Schnee auf dem großen Stein zu sehen war. Und irgendwann, Niemand weiß wann oder ob überhaupt, war der kleine Schneemann ganz verschwunden. Oder war er jetzt wirklich Teil des großen rauschenden Baches geworden? Jedenfalls sollte Niemand aus dem Dorf der Schneemänner jemals wieder von ihm hören.
Nur in den wunderschönen, sternenklaren Nächten, wenn eiskalt der Wind über das Land der Schneemänner fegt, erzählt man sich oft noch die wundersame Geschichte von dem kleinen Schneemann. der alles ganz genau wissen wollte. „Das ist auch gut so“, sagen dann die Ältesten. „Nur wer neugierig ist, lernt das Leben kennen. Doch nicht alles kann der Schneemann begreifen und wissen, manches muss er einfach glauben. Und wer nur grübelnd und verzweifelt nach Antworten suchend durch das Leben geht, der vergisst manchmal zu leben. Das Leben zu genießen.“ Und wer weiß schon, ob diese Geschichte wirklich so geschehen ist. Doch glaube ich, es ist trotzdem eine seltsam schöne Geschichte. Oder was glaubt ihr? |